Das Krisen-Karussell
Das Krisen-Karussell namens Theater dreht sich schneller und niemand findet den AUS-Knopf. Man hält sich fest und hofft, dass irgendeine Freiwillige Feuerwehr rechtzeitig Fangnetze aufspannt. Denn überall steht jemand, der Haltegriffe mit Schmierseife bestreicht oder gleich ganz die Hände mit der Machete abhackt. Die Passagiere und Dekonstrukteure im Einzelnen sind:
Thüringen:
Nach der drohenden Insolvenz am Theater Altenburg-Gera, findet aktuell eine Strukturdebatte in Thüringen statt. Ausgelöst wurde diese durch ein Interview des Erfurter Intendanten Guy Montavon mit der Thüringischen Landeszeitung. Grundtenor seiner Aussagen ist:
„2020 wird Thüringen unter zwei Millionen Einwohner haben. Wie wollen Sie dann die Theater füllen? Wenn man schon Autobahnen baut und Flughäfen, dann bin ich dafür, dass man auch in der Theaterlandschaft Ballungsräume schafft.“
Es ist nicht neu, dass die kulturelle Versorgung der ländlichen Bevölkerung gefährdet ist, weil gerade in kleineren Gemeinden Theater durch die kommunale Finanzkrise bedroht sind. Neu ist, dass die unverhohlenen Machtbestrebungen eines Theaterverantwortlichen selbst diese Zentralisierung auch noch unterstützen. Die wütenden Reaktionen kommen denn auch von allen Seiten. Die Thüringer Intendanten-Kollegen äußern sich entsetzt in der Thüringer Allgemeinen (hier) und in der Ostthüringer Zeitung (hier):
Lars Tietje (Nordhausen): „Herr Montavon weiß nicht, wie die kleinen Häuser funktionieren. Er war noch nie bei uns. Deshalb nehme ich gar nicht ernst, was er behauptet.“
Matthias Oldag (Altenburg-Gera): „Verfallen wir nicht in Kannibalismus, sondern suchen wir gemeinsam mit der Landesregierung nach Lösungen.“
Steffen Mensching (Rudolstadt): „Der ganze Vorschlag ist arrogant und zeugt von Unkenntnis. Entweder weiß Montavon nicht, was wir hier leisten oder er ignoriert es.“
Auch die kommunalen Träger protestieren scharf gegen diese Zentralisierungsvorschläge, wie die Ostthüringer Zeitung hier berichtet. Frank Quilitzsch schreibt in einem Kommentar in der Thüringischen Landeszeitung:
„Andere Theater, vor allem die kleineren, vertreten die Interessen ihrer Besucher, bereichern das kulturelle Leben der Region und üben sich – um überleben zu können – in Bescheidenheit. Montavon drängt im Alleingang auf Expansion, natürlich auf Kosten der anderen.“
Theater Bonn:
In Bonn hat das Ensemble mit einer Resolution unter dem Motto „Jetzt ist Schluss“ auf die Sparpläne reagiert. Ebenso warnt der Personalrat von Oper, Schauspiel und Orchester (PROSO) in einem offenen Brief neben dem Verlust von Arbeitsplätzen vor einem strukturellen Schaden und sieht Kulturangebote als wichtigen Standortfaktor. Nachzulesen hier auf Kultur-in-Bonn.de
Thalia Theater Halle:
In Halle haben Leitung und Ensemble des bedrohten Thalia Theaters einen Konzeptentwurf für eine (Wieder-)Eigenständigkeit ihres Theaters vorgelegt. Das „Konzept für ein Junges Schauspiel Sachsen-Anhalt“ steht auf der Protest-Website thalie21.de. Der Entwurf wurde mit Bitte um eine Diskussion an Kultusministerin Prof. Birgitta Wolff, Wirtschafts- und Arbeitsminister Dr. Haselhoff und Finanzminister Bullerjahn geschickt.
Mecklenburg-Vorpommern:
Obwohl Kultusminister Henry Tesch (CDU) sich zufrieden über den von der Landesregierung in Gang gesetzten Entwicklungsprozess zur Weiterentwicklung der Theater- und Orchesterstrukturen äußert (mehr hier auf NDR.de und hier auf MVregio.de), sind doch Zweifel angebracht. Bis 2020 sollen zwei „Kulturkooperationsräume“ unter einheitlicher Intendanz entstehen. Dass Zusammenschlüsse und Fusionen nicht unbedingt ein Allheilmittel sind, zeigt sich nämlich aktuell bei der Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz (TOG). Die seit Jahren bestehende GmbH soll laut Gesellschafterbeschluss aus dem Oktober aufgelöst werden. Nach dem Motto „Viele Köche verderben den Brei“ hatte es zuletzt immer häufiger gekriselt. Der Streit entbrannte vor allem an der Frage, wer wieveiel Geld gibt und mit wie vielen Stimmen in der Gesellschafterversammlung vertreten ist. Nachzulesen hier im Nordkurier.
Und auch das Volkstheater Rostock kommt nicht zur Ruhe. Nach den Berichten über eine Finanzierungslücke (hier im Blog), wurde nun der kaufmännische Geschäftsführer, Kay-Uwe Nissen, fristlos entlassen, wie hier auf NDR.de zu lesen ist. Ob es sich um ein Bauernopfer handelt, dass das Versagen der Politik bei der Privatisierung verdecken soll, oder nicht, lässt sich von außen schwer beurteilen.
Westfalen:
Eine „Vorschlagsliste“ des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) gefährdet auf 101 Seiten das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel und das Westfälische Landestheater Detmold sowie drei Landesorchester. Dies berichten die Ruhr Nachrichten hier.
Deutsches Schauspielhaus:
Und schlussendlich muss das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg ab 2011 auf Gastschauspieler verzichten und bringt eine Produktion weniger im großen Haus heraus, um Geld zu sparen. Auch auf berühmte Regisseure müsse teilweise verzichtet werden. Interimsintendant Jack Kurfess wird auf FOCUS online zitiert:
„Diese bedeutenden Künstler können wir uns nicht mehr leisten. (…) Das, wofür das Schauspielhaus jahrzehntelang berühmt war, gibt es dann nicht mehr.“
Berlin:
Und wer jetzt noch nicht Krise genug hat, kann sich am 28.11.2010 eine Podiumsdiskussion am Maxim Gorki Theater in Berlin unter dem Motto „Geld ist genug da – Theatersterben“ ansehen. Folgende Fragen sollen geklärt werden:
Was ist der Hintergrund der bundesweiten Sparbeschlüsse?
Sind die einzelnen Fälle miteinander vergleichbar oder nur aus der jeweiligen Situation vor Ort zu erklären?
Kommt in den Subventionskürzungen ein genereller Angriff auf das Ensemble- und Repertoiretheater zum Ausdruck?
Wer trifft diese Entscheidungen überhaupt und warum?
Und was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn Städte ihr Theater verlieren?
Welchen Rückhalt hat das Theater in den Städten, welchen braucht es?
Und was ist jetzt zu tun, um dem Ensemble- und Repertoiretheater die Zukunft zu sichern?
Teilnehmer sind:
André Bücker (Generalintendant des Anhaltischen Theaters Dessau), Annegret Hahn (Intendantin Thalia Theater Halle), Sebastian Hartmann (Intendant Centraltheater Leipzig), Jack Kurfess (Geschäftsführender Intendant Schauspielhaus Hamburg), Knut Nevermann (Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung in Berlin), Christian von Treskow (Intendant Schauspiel der Wuppertaler Bühnen), Diskussionsleitung Dirk Pilz (nachtkritik.de)
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